Samstag, 26.Dezember 09
Das Loch, das Hitlers Brüder in Phnom Penh in meine Seele gerissen haben, hat heute die richtige Behandlung erfahren und heilt hoffentlich auf diese Weise bald wieder. Die beste Medizin waren die behutsamen Bilder einer Ausstellung, die vor dem Busfenster an mir vorbei zogen: Kambodscha heute. Ich genieße die 6-stündige Fahrt mit dem Uraltbus, diesmal habe ich den Fensterplatz und die Oberhoheit über den Vorhang. Niemand kann mir, weil er selber nichts sehen will, durch Zuziehen die Sicht nehmen. Ich sehe Szenen aus dem Stadtleben wie aus dem Landleben, und Menschen, die erfindungsreich die ungewöhnlichsten Dinge tun um ihre tägliche Ration Reis zu sichern. Kambodscha ist an 7. Stelle der ärmsten Länder Asiens, mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 1.600,- EUR jährlich pro Kopf der Bevölkerung. Das die Menschen hier ärmer sind als in den anderen Ländern Süd- und Südostasiens, die ich bisher bereisen konnte, fällt mir dadurch auf, dass hier n i c h t jede Stroh-, Holz-, oder Wellblechhütte eine Fernsehantenne am Mast oder auf dem Dach hat. Die beiden Statussymbole, die sonst allgemein in Asien nach außen hin anzeigen, „wir haben es geschafft“, fehlen bei großen Teilen der Bevölkerung hier noch komplett: Fernseher und Moped.
Die Baguettes in der Vitrine eines Verkaufsstandes am Bus-Terminal in Phnom Penh werden dadurch aufgefrischt, indem die Verkäuferin eine Zeitung zusammendreht, vorn anzündet, und mit der Flamme um die gestapelten Baguettes streicht.
Gestern abend fragte mich der junge Mann im Boddhi-Tree GH in einer ruhigeren Minute, was ich eigentlich so machen würde. Ich sei so lange in P.P., viel länger als andere Gäste, die immer schon nach spätestens drei Tagen wieder weg wären, und ich würde immer so viel schreiben. Was mir dazu spontan einfiel gefällt mir im Rückblick sehr gut. Ich habe ihm gesagt, ich sei ein ‘Collector of Impressions‘. „Und da kannst du Geld mit verdienen?“ war seine direkte Frage darauf. Ich habe gesagt, ich würde sogar noch viel Wertvolleres als Geld dafür bekommen, denn ich würde so das Leben kennenlernen, und den Sinn und die Bedeutung verstehen für ganz viele Dinge die ich sehe. Er überlegte ganz kurz und stellte dann fest, dass ich so ganz sicher mehr lernen würde als beim Studieren auf einer Universität, und ich glaube, er hat Recht.